Jahrtausende lang verwendete man für die Bildhauerkunst zwei verschiedenen Begriffe: Skulptur und Plastik. Der Arbeitsprozess bestimmt dabei das Wort. Wenn eine Künstlerin / ein Künstler Material abträgt, entsteht eine Skulptur. Das lateinische Verb „sculpere“ bedeutet schnitzen, meißeln, stechen. Berühmt ist der überlieferte Gedanke von Michelangelo Buonarotti, der wohl einmal gesagt haben soll, dass die Skulptur im Stein bereits ruhe und „nur“ befreit werden müsse. Wer aus einem Stamm oder einem Steinblock eine Skulptur schlägt, muss das Konzept der Arbeit immer im Auge behalten. Wenn wir uns die Werke von Silvia Jung-Wiesenmayer und Klaus Prior anschauen, sehen wir zwei „Paradebeispiele“ für wunderbare Bildhauerkunst. Priors Arbeiten leben von der expressiven Geste, seine Arbeitsspuren bleiben bewusst sichtbar, denn sein Thema ist der Mensch und dessen existenzieller Lebenskampf. Silvia Jung-Wiesenmayer hingegen ist eine Meisterin des Ornaments. Die Schattenzeichnungen und Faltenwürfe ihrer Skulpturen aus Bollinger Sandstein sind von einer zeitlosen Eleganz.


Eine Plastik entsteht immer, wenn Material aufgebaut und modelliert wird. Das griechische Verb „plastein“ bedeutet bilden, gestalten, töpfern, aber auch ersinnen, erdichten. So wird jede Bronze zunächst in Wachs oder Lehm geformt, bevor das komplizierte Schmelzverfahren mit Positiv- und Negativformen beginnt. Die Bronzefiguren von Susanne Kraißer sind echte geradezu Lehrbuchhafte Beispiele, da auch noch ihr Sujet „klassisch“ ist, denn die Bildhauerin formt Körper. Auch der Glasbildhauer Julius Weiland arbeitet plastisch, wenn er seine Glasformen im Schmelzofen entwickelt und modelliert.


Natürlich gibt es inzwischen viele neue Materialien und Arbeitsweisen. Die Bildhauerin Anne Carnein arbeitet mit Stoffen und Fäden, sie und modelliert mit Draht. Auch ihr Ansatz ist jedoch immer der einer Plastik. Um Fehler zu vermeiden bzw. um Mischformen gerecht zu werden, wird oft auch von Objektkunst gesprochen. Denn ein Objekt ist ein Gegenstand, das mit dem Raum arbeitet – das Thema Raum ist schließlich die Basis allen bildhauerischen Schaffens. Bildhauer und Bildhauerinnen beziehen in ihr Schaffen immer den Raum mit ein, durch ihre Arbeiten verändern sie Räume und greifen sozusagen materiell in den realen Raum ein und verändern dabei unsere gelebte Wirklichkeit.


Im Zentrum des Schaffens von Joseph Beuys stand beispielsweise die „soziale Plastik“, d.h. er trat als Künstler an, den sozialen Raum durch künstlerische Setzungen zu verändern. Wer durch das künstlerische Arrangement von Materialien bewusst die Wirkung eines Raumes verändert, entwickelt eine erweiterte Form der Plastik, was dann als Installation bezeichnet wird. Installationen sind oft zeitlich begrenzt und daher umso faszinierender, denken wir nur an das Bildhauerpaar Christo und Jeanne-Claude.