Die elfte Kunst- und Künstlergeschichte soll unserer „Eröffnungs“-Künstlerin Bettina Sellmann gewidmet sein, denn ihre extravaganten Bilder waren es, die wir an Sonnwend 2017, also am namensgebenden 21.06. in unserer neu eröffneten Ravensburger Galerie 21.06 zeigen bzw. mit einem rauschenden Fest einem überwältigenden Publikum präsentieren konnten.

Mit dem Sellmann-Zitat „und irgendwie ist da immer ein trotzdem“ begann ich damals meine Rede anlässlich unserer Galerieeröffnung. Knapp drei Jahre später, in Zeiten von Corona, steht dieses Zitat in einem völlig anderen Kontext, aber es hat keineswegs an Aktualität eingebüßt. Denn die in Berlin lebende Malerin Bettina Sellmann ist immer noch eine Frau des „trotzdem“, sie lässt sich nicht unterkriegen, sie entwickelt ihren Malstil konsequent weiter und sie arbeitet unermüdlich, oftmals bis in die Nacht hinein. Auch in diesen Tagen trotzt sie Corona und malt weiter (trotz diverser Ausstellungsabsagen in ganz Deutschland). Wir werden ab Juni einige ihrer neuen Werke in Ravensburg im Rahmen der geplanten Ausstellung „NO (body) IS PERFECT“ hängen, immerhin ein kleiner Lichtblick für diesen Sommer!

Die in München geborene und heute in Berlin lebende Malerin hatte 2017 mehrere Monate für unsere Ravensburger Ausstellung (ihre Premiere in Süddeutschland!) gearbeitet. Wir wussten dieses Engagement umso mehr zu schätzen, weil wir der Künstlerin gegenüber ja noch nichts vorzuweisen hatten, außer Baustellenaufnahmen aus einer Provinzstadt im äußersten Süden der Republik. Doch Bettina Sellmann vertraute uns von Anfang an und sie malte nicht nur wunderbare Großformate mit Titeln wie nup, zap, zis, xuv, ixy, riu usw., sondern sie brachte sich auch mit ihrem professionellen Kuratoren-Auge engagiert und konzentriert in unsere Ausstellung mit ein.

Empfohlen wurde uns die Malerin übrigens von ihrer Künstlerkollegin Claudia Hummel, einer Weingartnerin, die schon lange in Berlin lebt und heute an der Universität der Künste unterrichtet. Bettina Sellmanns Malerei sei „einzigartig anders“ und selbst in der Großstadt Berlin ohne Vergleich. Diese Einschätzung hatte Stefanie Büchele und mich damals sofort überzeugt.

Sellmanns Malerei schafft es in der Tat, uns von Klischees zu befreien, so changiert sie zwischen Figuration und Abstraktion und schafft eine Stimmung, die Andreas Schlaegel in einem Text über die Künstlerin als „glamourös und magisch“ bezeichnet hat. Bettina Sellmann selbst sieht übrigens immer ihre Figur(en) im Bild, aber sie zwingt uns keine Sehrichtung und Denkweise auf, da es ihr wichtig ist, mit ihrer Kunst möglichst große Freiheit in uns Betrachter*innen auszulösen.  

Spannend ist es im Übrigen auch, mit der Künstlerin über Themen wie individuelle Schönheit und persönliche Eitelkeit zu diskutieren, auch um ihren künstlerischen Schönheitskanon besser zu verstehen. Apropos Künstler*innen und Eitelkeit. Ja, es ist was dran an dem Vorurteil der künstlerischen und intellektuellen Eitelkeit. Auch Bettina Sellmann ist durchaus eitel, was ihr Werk angeht und so wehrt sie sich entsprechend klar und deutlich gegen Fehleinschätzungen und gegen platte schön-hässlich-Kategorisierungen. Zu Recht, denn ihre Malerei ist absolut „anders“, wenig konform und daher  entsprechend angreifbar.

Es ist vermutlich auch das eine Jahrzehnt, das Bettina Sellmann in Brooklyn gelebt und gearbeitet hat, was ihren Arbeiten einen gewissen „spirit and way of life“ verleiht. Aus New York, wo sie im Übrigen mit einer Arbeit in der Sammlung des MoMA vertreten ist, kehrte sie wieder zurück nach Deutschland. Bettina Sellmann hatte an der Städelschule in Frankfurt studiert, war ein Jahr Stipendiatin in Paris, zog danach in die USA, um am Hunter College ihren Master drauf zu satteln.

Anlässlich der Ausstellung „Mond, Saturn und Tränen“ in der Frankfurter Oberfinanzdirektion erschien am 4.5.2019 eine Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der die Malerin so beschreibt:

„Derweil ist Bettina Sellmann, die bei Christa Näher an der Städelschule studiert hat, mit Leib und Seele Malerin. Eine Künstlerin freilich, die nicht nur aus der Welt des Barock und des Rokoko, sondern stets auch aus der Welt der Alchemie, von Comic auch und Pop und Manga schöpft. Und dabei alle ihre Quellen in malerischer Hinsicht gleich behandelt. Ob die pinkfarbene „Venus“ oder der „Saturn“ in knalligem Türkis, der arglos den Betrachter anblickende „Little Boy Mad“ mit seinen rührend runden, strahlend grünen Manga-Augen oder das „Hübsche Mädchen“ mit onduliertem Haar in schillerndem Seniorenblau: Bettina Sellmanns geradeso zauberhafte wie wunderlich anmutende, in einem Rutsch auf die Leinwand getanzten Figuren sind nicht von dieser Welt. Sie materialisieren sich gerade eben zu seltsam püppchenhaften Wesen oder lösen sich im Gegenteil in diesem Augenblick in nichts als Farbe auf. Und blicken nun mit großen Augen in eine andere, in eine fremd und wunderlich gewordene Zeit. Eine Zeit und eine Welt indes, die der unsrigen doch ziemlich ähnlich zu sein scheint.“

Über sich selbst schrieb die Berliner Malerin einmal: „Meine Bilder sind geprägt von kindlichen Farben, sie erscheinen fast zeichnungsartig, leer und leicht. Durch die Malerei „teste“ ich unglaubwürdige, da überstilisierte Formeln auf ihr Potential. Bei näherem Hinsehen sieht man in den kitschig-kreischigen Oberflächen der Bilder das „Handgemachte“, fast sind sie trocken und lapidar gemalt. Der Malprozess liegt offen dar, ist nachvollziehbar.“

Ich würde Sellmanns Malerei als eine Malerei der „mutigen Träume“ bezeichnen, denn so wie sich die Motive und Figuren in ihren Bildern nicht festhalten und bändigen lassen, lassen sich auch unsere Worte und Gedanken zu dieser Kunst nicht fixieren. Viele von Sellmanns Bilder fühlen sich an wie gelebte Tagträume, die uns Flügel verleihen, die uns tanzen und lieben, schweben und abheben lassen aus dieser Welt, die leider viel zu oft aus düsteren Nachrichten besteht.

Wer mit Bildern von Bettina Sellmann lebt, hat immer eine Tür zu seinem persönlichen Wunderland geöffnet! Schon jetzt steht fest, dass wir alle  verändert aus dieser Pandemie-Krise hervorgehen werden. Bis es soweit ist, könnten wir uns beispielsweise an Sellmanns Bildern laben, die weder Krise noch Dunkelheit  thematisieren, sondern die unserer Phantasie freien Lauf lassen!

© Andrea Dreher, April 2020