Die zehnte Kunst- und Künstlergeschichte führt uns ins Allgäu zu Irmi Obermeyer, die nicht nur eine wunderbare Malerin ist, sondern auch eine echte Macherin, so koordiniert und verantwortet sie z.B. seit Jahren die Kunstakademie Allgäu in leitender Funktion.

Woher weiß ich, dass ich im Allgäu bin? Ein Allgäuer (!) erklärte mir einmal, das sei ganz einfach, denn sobald die Kühe schöner sind als die Frauen, sei mal im Allgäu. Diese Anekdote steht symbolisch für den Stolz dieses wunderschönen Fleckens Erde, aber schöne Frauen gibt’s auch im Allgäu, so würde ich die Künstlerin Irmi Obermeyer durchaus dazuzählen.

Irmi Obermeyer lernten wir auf Empfehlung der Bildhauerin Silvia Jung-Wiesenmayer (auch sie lebt im Allgäu) am Stand unserer Galerie auf der Art Bodensee 2018 in Dornbirn kennen. Irmi Obermeyer begrüßte uns damals mit einem auffallend herzlichen Lachen, entschuldigte sich sogleich für ihre „Initiativ-Bewerbung“ und zog dann (wohl vorbereitet) Abbildungen einzelner Kunstwerke aus der Tasche. Was wir sahen, war ein wunderschönes Spiel mit Linien und es war in einem sehr positiven Sinne dekorative Kunst!

Als wir wenig später erste Originale der Künstlerin sahen, waren das Staunen umso größer, denn Obermeyers Technik erlaubt KEINE Korrekturen!

Seit 2016 arbeitet die Allgäuer Künstlerin im „aktiven Weißraum“. Mit aufwändig gebauten Pinselkonstruktionen entwickelt sie abstrakte Bilder, deren Ursprung übrigens in der klassischen Kunstgeschichte verortet ist. So sind es Stoffe alter Meister, wie beispielsweise gemalte Hauben in den Gemälden des niederländischen Malers Jan Vermeer, die sie faszinieren. Ganz bewusst setzt Irmi Obermeyer die Linie als strukturales Element ein, um ihrem Bildraum noch eine weitere Ebene zu verleihen, die man durchaus als „klassisch elegant“ bezeichnen könnte.

Obermeyers Bilder basieren auf einer mehrschichtigen Grundidee, bei der die gedankliche Freiheit und die künstlerische Unabhängigkeit eine zentrale Rolle einnehmen. So will sich die Künstlerin nicht auf eine verkopfte -Ismus-Debatte einlassen und intellektuelle Diskurse bedienen, sondern im Mittelpunkt ihres Werks steht immer die Eigenständigkeit der Arbeit und die Konzentration auf das Motiv.

Denn was zunächst leicht und beschwingt daher kommt, ist das Ergebnis langjähriger Erfahrung und großen Könnens. So toleriert Obermeyers Technik kein Zurück, kein Zögern und keine Korrektur. Auch das heute so beliebte „copy and paste“-Verfahren ist ein echtes Tabu für diese Kunstwerke, die im besten Sinne analog und einzigartig sind. Umso beeindruckender ist es daher zu sehen und förmlich zu spüren, wie souverän diese Malerin in der zweidimensionalen Fläche den dreidimensionalen Raum erobert.

In Obermeyers Bildern können wir uns in den einzelnen Linien genauso verlieren wie im gemalten Raum. Das Geheimnis dieser Malerei ist daher sehr vielschichtig, so sind es mal die Linien, dann wieder das Spiel mit der Leere oder aber die dieser Kunst zugrunde liegende Grundästhetik, die uns begeistern. Wer solche Bilder malt, weiß, was er respektive sie tut. Diese Kunst entsteht aus einem positiv geprägten Selbstbewusstsein heraus, gepaart mit einer durchaus bodenständigen Lebenserfahrung.

Wer die Künstlerin Irmi Obermeyer trifft, hat immer auch mit ihr als Mensch Kontakt. Nie würde sie ihren Künstlerstatus in der Vordergrund rücken, um gesellschaftlich zu punkten. Genauso wenig würde sie sich hinter ihrer Künstler-Aura verstecken. Denn sie bedient keine Klischees, sondern sie will Qualität liefern. Die meisten Profikünstler*innen treten übrigens auf Vernissagen und sonstigen Events mit dem jeweils einstudierten „Poker-Face“ auf, das in der Regel kein Lachen erlaubt (zumindest vor der Kamera), denn nur wer ernst ist, ist seriös. Aber all diese Befindlichkeiten innerhalb der Kunstszene sind Irmi Obermeyer egal. So malt sie konsequent, ohne Neid und voller Freude große und kleine Formate, wobei sie auf alle Fälle auch eine Meisterin des Großformates ist! Und sie lacht und lächelt, wann immer ihr danach ist.

Es tut wirklich gut, mit dieser Künstlerin zusammen zu arbeiten, denn der positive Spirit ihrer Kunst überträgt sich sofort auf uns Betrachter*innen. Wer daher Lust auf gute Abstraktion hat, die Eleganz und Kraft in einem Bild vereint, sollte sich ein Kunstwerk der Allgäuerin ins Haus holen. Der Wellness-Effekt wird sozusagen „on top“ mitgeliefert.

Als ich die Künstlerin nach einem kleinen Corona-Stimmungsbild fragte, bekam ich Mitte April folgende Email:

„Aktuell sind in den letzten Tagen die Bilder entstanden, die ich dir per wetransfer extra sende. Ebenfalls Stimmungen aus dem Atelier – Stapel von eingepackten Bildern, weil 2 Ausstellungen im März abgesagt wurden – sowie Momente am Arbeitstisch.

Mir geht es gut – eigentlich!!

dieses Wort – wie du schon geschrieben hast! Doch irgendwie fühle ich mich wie unter einer Glocke, der Himmel fühlt sich nicht mehr leicht an – es ist irgendwie alles so klein und eng – so formal geworden. Der Esprit und der Schwung für meine absolut “einmaligen Pinselstriche” ist kleiner geworden. Es fehlt die große energetische Bewegung – für große Formate. So arbeite ich klein auf den Holzkästen – quasi meine Etüden – in diesen Zeiten. In Vorbereitung auf wieder neue Aufführungen.“

Diese wenigen Sätze von Irmi Obermeyer liefern einmal mehr den Beweis, dass ein Bild nicht nur ein Bild ist, sondern immer auch Teil eines übergeordneten Kunstverständnisses und essenzieller Teil eines individuellen Lebensmodells. Sehr inspirierend und schön kann es übrigens sein, wenn Kunst es schafft, die Gattungsgrenzen zu überwinden, wenn Malerei Töne auslöst oder wenn Sprache durch Töne ersetzt wird wie beispielsweise in Schuberts Zyklus „Lieder ohne Worte“.

Nur Gutes zusammen ergibt eine echte Harmonie, die wir in diesen schwierigen Zeiten besonders herbeisehnen. Wenn Sie mögen, so überlegen Sie einmal, mit welcher Musik sie Obermeyers Bilder untermalen würden? Zu welchem Sound inspiriert sie diese Kunst? Die Malerin hätte bestimmt nichts dagegen, ganz im Gegenteil! Und noch ein Tipp: Weiten Sie Ihre musikalische Reise nach Übersee aus, denn Irmi Obermeyers innerer Bildspeicher ist dank vieler Fernreisen polyglott und keineswegs aufs Allgäu zu reduzieren.

© Andrea Dreher, April 2020