Weil es auch in der oberschwäbischen Provinz gute Nachwuchskünstler*innen gibt, soll es in dieser Geschichte um das Werk von Anna-Lena Huber gehen.

Die Ravensburger Künstlerin Anna-Lena Huber studierte von 2004 bis 2011 an der Kunstakademie Stuttgart in der Klasse für Malerei bei Reto Boller, sowie Geschichte an der Universität Stuttgart. An Reto Boller bewunderte die Studentin Anna-Lena, dass er Dinge immer sachlich benennen und nüchtern erklären konnte. Diese Akademie-Gespräche sind für die Malerin bis heute ein großes Vorbild. So wolle auch sie in ihrer Kunst keine Lese-Bilder schaffen, sondern Spuren legen und Gespräche „lostreten“!

Am Anfang eines Bildes stehen Farbspuren, die meist mit Rakel aufs Papier aufgetragen werden und erste Assoziationen in Anna-Lena Huber auslösen. Ihre Motivwelt bewegt sich im weitesten Sinne zwischen Landschaft und urbanem Raum, aber sie malt weder Äcker noch Städte, sondern sucht in ihrer Malerei genau die spannenden Kippmomente zwischen Figuration und Abstraktion.

Die Kompositionen stehen für sich und erinnern doch an Gegenständliches, an die Architektur leer stehender Fabrikgebäude, an Stadtansichten oder Landschaften, die sich mit biomorphen Flächen und geometrischen Konstrukten vermischen. Flächen und Linien werden im Spannungsverhältnis von Erzeugung und Aufhebung räumlicher Tiefe eingesetzt.  Die Farbflächen stehen in einem quasi-figürlichen, räumlichen Zusammenhang und tun es doch nicht.  Sie fügen sich scheinbar nahtlos zu architektonischen Gebilden zusammen und klappen wieder auseinander. Es bleiben Flächen, Winkel, Überlagerungen.

 „Der Reiz liegt für mich im Unscheinbaren, scheinbar Banalen, den Entdeckungen im Dazwischen. Und in der Suche nach Formfindungen einer autonomen Bildwelt. Es geht immer um Perspektive, Raum und Assoziation. Die Bilder sind nicht gänzlich (auf)lösbar, nicht vollständig ergründbar. Sie sollen als autonome Malerei an sich aber zu erfahren sein“, so die Künstlerin.

Wer sich mit Anna-Lena unterhält (und das ist sehr zu empfehlen), wird irgendwann das Adjektiv „assoziativ“ aus ihrem Munde hören, es ist eines der Lieblingswörter der Künstlerin in Bezug auf Ihre Arbeiten.

Warum?

Assoziationen entstehen durch die Verknüpfung von Vorstellungen und Gedanken. Wer assoziativ denkt, ist offen für Neues, verharrt nicht im Status Quo, sondern agiert und reagiert auf neue Entdeckungen oder Wahrnehmungserfahrungen.

Wer sich die Kunstwerke von Anna-Lena Huber anschaut, versteht schnell, was gemeint ist. Denn wir blicken auf Rakelspuren, die an Wege erinnern, wir entdecken Farbflächen, die an Seenplatten denken lassen, wir sehen kubische Gebäude, die als Hommage mediterraner Architektur verstanden werden können …, aber wir sehen auch immer Farbe, Fläche, Form und zahlreiche Perspektivwechsel.

Sind es also reale Orte, vor denen wir stehen oder sind die gemalten Räume alle konstruiert? Hierzu liefert uns die Künstlerin immer ein JA und ein NEIN.

So bleibt uns also einmal mehr, assoziativ zu sein, mehrere Gedanken zuzulassen, uns auf die Bilder zu und wieder von ihnen weg zu bewegen (das geht natürlich analog weitaus besser als digital). Denn irgendwann entsteht in unserem Kopf eine Geschichte zum Bild, sofern wir es zulassen!

Anna-Lena Huber malt mit dem Wunsch, Vorstellungsbilder in uns wachrufen und sie will uns unbedingt die „Berührungsängste“ mit der Kunst nehmen.

Wer hat Angst vor … Malerei? Diese Frage mag für manch einen lächerlich klingen, aber die Zahlen und Fakten sprechen leider eine andere Sprache. Denn über 90% der Bevölkerung in unserem Land lebt ohne Kontakte mit professioneller Kunst. Hat diese gesellschaftliche Kontaktsperre etwas mit Angst zu tun? Woran liegt es, dass zahlreiche Wände weiß bleiben und dass Kunst vielfach in den Ateliers und Kellern ihr Dasein fristet. Nach jahrzehntelanger Erfahrung wage ich zu behaupten, dass es auch die spontanen Perspektivwechsel sind, die vielen Menschen zu schaffen machen. Denn wer sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, muss beweglich bleiben, muss Fragen zulassen, muss für Diskussionen bereit sein, muss sich positionieren und muss (im Idealfall) für die Kunst Partei ergreifen. Wer MIT Kunst lebt, bleibt in Bewegung und ist bereit, Schemata in den Köpfen aufzuweichen und Platz zu schaffen für kreative Energie in seinem Leben. Wer den „Spirit“ der Kunst eingeatmet hat, will ihn nicht mehr missen. 

Im Zusammenhang mit der Corona-Krise erleben wir derzeit alle den einen oder anderen Perspektivwechsel und entdecken unsere gewohnten Räume neu und anders. So stehen Bildschirme in Schlafzimmern, die kurzerhand zu Büros umfunktioniert werden mussten, so skypen wir mit lieben Freunden und Verwandten, die wir gerade nicht treffen dürfen. Um den Verlust realer Alltagsfreuden zu kompensieren, müssen wir unser Leben digitalisieren. Online ist plötzlich das neue offline, alles ist anders, und wir lernen Tag für Tag, unser Leben dem neuen System anzupassen. Auch Anna-Lena Hubers Alltag hat sich verändert. Sie lebt in einer Pendelbeziehung mit einem Römer, der an der Uni in Bayreuth forscht. Das bedeutet, dass sich in den letzten Wochen viele Grenzen in ihrem Leben bildeten, die vollkommen vergessen waren. Diese unerwarteten  Grenzerfahrungen aus ihrem Privatleben haben eine neue Serie entstehen lassen, dunkle Blätter mit reduzierten Formen; Arbeiten, die eine starke Energie und Konzentration ausstrahlen. Die Künstlerin nennt ihre Serie „afterwards“ und schrieb dazu in ihrer Mail vom 8. Mai:

„In den Bildern reagiere ich auf Gespräche am Telefon und Skype, in denen mich bestimmte Momente oder Aspekte besonders berührt, interessiert oder inspiriert haben. Die Zeichnungen bilden einen subjektiven Nachhall eines Themas oder Moments des Gesprächs ab. Sie werden ausgehend von meiner Empfindung und des Themas entwickelt.“

In Zeiten wir diesen kann uns die Kunst einmal mehr Lehrmeisterin sein und sie kann uns Mut machen und gleichzeitig Trost spenden. Trotz aller Einschränkungen, die wir alle aushalten müssen, entsteht aber auch Gutes und Neues, nicht nur in der Kunst. Vielleicht konnte diese Geschichte den einen oder anderen einladen, auch in Sachen Kunst einen Perspektivwechsel vornehmen zu wollen.

Wer sich also angesprochen fühlt durch Anna-Lena Hubers Kunst, sollte sich die Originale nicht entgehen lassen. Einen schönen Einblick in ihr Werk gibt übrigens die Einzelausstellung „SPAZIO“ in unserem Galerie-Showroom in den Geschäftsräumen der Uli Schuh Bürokommunikation in Ravensburg-Mariatal, die noch bis in den Spätsommer 2020 zu sehen sein wird.

Ans Ende dieser Geschichte möchte ich zwei Titel von neuen Großformaten aus dem Atelier von Anna-Lena Huber setzen (denn sie ist eine Frau, die gerne groß malt!), es sind:„always returning“ und „traveling without moving”!

 

© Andrea Dreher, Mai 2020