„Wie ordnet sich die Welt und welche Rolle kann die Kunst dabei spielen?“ lautet eine der Leitfragen der Objektkünstlerin Gabi Janker-Dilger.

Wer sich die Ordnung der Welt zum Thema nimmt, setzt sich mit Universum und Chaos, mit Makro- und Mikrokosmos auseinander. Dabei spielen Begriffe wie Materie und Energie eine zentrale Rolle, ebenso wie die Verteilung elementarer Teilchen im Raum bis hin zur Erfassung großräumiger Strukturen.

Immer wenn Gabi Janker-Dilger und ich zu Ateliergesprächen zusammen saßen, dauerten diese viel länger als geplant, denn jedes Mal begannen wir bei der Kunst und endeten beim Leben und / oder umgekehrt.

Als Tochter eines Ingenieurs und einer Musikerin wuchs Gabriele Janker-Dilger in Ravensburg auf und wollte nach dem Kunst-Leistungskurs freie Kunst studieren. Als sie aber im ersten Anlauf an der Kunstakademie abgewiesen wurde, verlor sie den Mut und entschied sich für ein Modedesign-Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim. Dort schrieb sie ihre mit Bestnote bewertete Diplomarbeit über alte Trachten. Gabriele Janker-Dilger interessierte sich aber nicht für Mode, sondern für Stoffe, für das Material also!

Im Umgang mit dem künstlerischen Material Stoff begann sie in den Folgejahren immer freier zu experimentieren und wagte erst mit Mitte Vierzig den Weg an die Öffentlichkeit. Ihre Vita als Künstlerin nimmt aber schnell Fahrt auf, so war sie z.B. in 2010 die Gewinnerin der Kreiskunstausstellung des Landkreises Ravensburg. Was Gabriele Janker-Dilger auszeichnete, war (und ist) der Mut, mit Material zu experimentieren und neue künstlerische Techniken auszuloten. Wer die Künstlerin noch mit Textil in Verbindung bringt, wird inzwischen staunen, denn wo sind sie geblieben, ihre faszinierenden Collagen der Nullerjahre?

„Wenn ich etwas erschlossen habe, muss es weitergehen“, so die Künstlerin im Gespräch, „ich will nicht ewig auf etwas rumreiten, verwalten liegt mir generell nicht so“.

Doch nur wer für Neues offen ist, entdeckt auch Neues. So waren es vor ca. 4 Jahren Taue und dicke Schnüre, mit denen Gabriele Janker-Dilger zuerst völlig kunstfrei zu tun hatte und welche plötzlich die Künstlerin in ihr zu neuem Schaffensdrang antrieben. Ein neuer „Heureka“-Moment war geboren!

Kurze Zeit später galt es im Hause Janker-Dilger Peddigrohr-Reste zu entsorgen …, doch zur Entsorgung kam es nicht, sondern zu einem ersten innovativen Versuch des kunstvollen Upcyclings.

Hand aufs Herz, assoziieren wir nicht alle mit „Peddigrohr“ (die Jungen unter uns wissen mit dem Begriff ohnehin nichts anzufangen) bestenfalls gutes Handwerk, wir denken vielleicht an geflochtene Brotkörbchen oder stabile Einkaufskörbe, aber keinesfalls an KUNST!

Wäre da nicht diese tatkräftige Ravensburger Künstlerin, die uns eines Besseren belehrt. Sie ist inzwischen eine absolute Meisterin ihres Fachs, kennt sämtliche Bezugsquellen für Peddigrohre in allen möglichen Stärken und arbeitete in den vergangenen zwei Jahren unermüdlich an der Perfektionierung und Optimierung dieser Objektkunst. Längst ist die Arbeit mit Peddigrohr ihr künstlerisches Alleinstellungsmerkmal.

Das Material ist spröde, leicht und nur im Wasser formbar, konservativ im Kunsthandwerk, innovativ in der freien Kunst! In Gabriele Janker-Dilgers Atelier entstehen daraus feingliedrige „Airlines“, farbkräftige „Flowers“, kraftvolle „ultraLINES“, und elegante „linear objects“, so die Titel ihrer Serien.

Wer sich mit der Künstlerin unterhält, begreift schnell die Ernsthaftigkeit, die hinter all ihrem Tun steckt. Gabriele Janker-Dilger ist eine sehr reflektierte und belesene Frau, die gerne ausgetretene Pfade verlässt und sich durchaus als künstlerische Grenzgängerin versteht.

Warum also Peddigrohr als Material für Kunstwerke? Weil unser ganzes Leben in Bewegung sei, weil wir auf einem Planeten leben, der sich ständig bewege, weil es bei Bewegung immer um Energie gehe und um Veränderung und um Perspektivenwechsel, so Gabi Janker-Dilger, und weil sich diese Prozesse wunderbar mit dem „ehrlichen“ Material Peddigrohr umsetzen ließen.

Unsere Erfahrungen mit der Corona-Pandemie gehen genau in diese Richtung, denn Corona schert sich weder um Grenzen noch um Mauern als Abgrenzungen. Die ganze Welt ist physikalisch miteinander verflochten, und die große Herausforderung besteht darin, neue Formen der Kommunikation zu finden, in denen es nicht nur um Worte und Taten geht, sondern um die Frage des „dazwischen“!

„Das eigentliche Geschehen findet in den Zwischenräumen statt. Zwischenräume definieren die Form und die Ausprägung, in den Zwischenräumen fließt die Energie“, so Gabriele Janker-Dilger über ihre Objektkunst. In der Tat liegt die Spannung ihrer Arbeiten in der Schaffung neuer Raumebenen. Wir blicken auf, unter und hinter ihre Geflechte, es bilden sich Schatten, einzelne Linien und Farbstränge überlappen sich, andere fließen an der Wand elegant aus.

Die Bewegung in dieser Kunst resultiert daher auch ganz entschieden aus dem Spiel mit der Linie. Die Ravensburger Künstlerin denkt zeichnerisch. Doch sie greift eben nicht zum Papier, sondern sie arbeitet raumgreifend und will durch ihre Kunstwerke den energetischen Kräften eine individuelle Form verleihen.

Wenn Linie zu Struktur wird und Schatten wirft, wenn sich formal Wege kreuzen und überlagern, wenn sich Ebenen begegnen und dabei immer ein Anfang und ein Ende sichtbar bleibt, sind wir übrigens mittendrin im menschlichen Dialog. Wer die Künstlerin kennt, weiß, dass ihr das konstruktive Gespräch sehr wichtig ist.

Aber auch die Energie, die in ihren Händen steckt, ist atemberaubend. Sie lässt sich nicht vom Weg abbringen und scheut keine Herausforderung, ob tagelanges Einweichen der Peddigrohre, Sprayen mit Autolacken, Biegen mit Zangen, Fixieren mit Klemmen und großen Steinen. Denn ihre Objektkunst, die so federleicht an den Wänden und von der Decke hängt, ist das Ergebnis langer und teils harter Arbeitsprozesse.

Im Grunde sind wir alle Lebens-Designer, sagt die Künstlerin und will mit ihrer Kunst eine Art „Wellness für den Geist“-Beitrag leisten. In unserem Alltag (zumal im Frühjahr 2020!) befinden wir uns regelmäßig zwischen Illusion und Realität, zwischen Reden und Schweigen, zwischen Zustimmung und Ablehnung, zwischen Ja und Nein, zwischen „Stop“ und „Go“ ….

Wenn es nach der Künstlerin Gabi Janker-Dilger geht, können genau diese Zwischenräume einen wesentlichen Beitrag leisten, um geistig in Bewegung zu bleiben und um positiv zu denken!

© Andrea Dreher, Mai 2020