Die siebte Kunst- und Künstlergeschichte ist der Ludwigsburger Malerin Ute Robitschko gewidmet.

Wir fahren durch menschenleere Straßen, wir schauen auf menschenleere Plätze, wir stehen vor verschlossenen Räumen, wir halten Distanz und wir leben zurückgezogen oder sogar in Quarantäne…, und plötzlich sind wir mittendrin in der Bildwelt von Ute Robitschko, die mir am 26. März 2020 folgendes schrieb:

 „Eigentlich ist vor dem Fenster meines Ateliers viel los, da sich einige Schulen direkt nebenan befinden. Jetzt ist es sehr ruhig - keine Schule, Hort, Dönerladen, alles geschlossen. Ich zeichne Zurzeit - es fällt mir aber schwer, mich zu konzentrieren. Im Moment fühle ich mich manchmal als wäre ich in eine meiner Zeichnungen geraten. Alles verlangsamt sich, wird stiller, leerer.“

Ute Robitschko (*1968) hat zunächst eine Handwerkerlehre als Malerin erfolgreich absolviert, bevor sie sich – auch auf Drängen guter Freunde (die ihre Begabung erkannten) – auf ein Kunststudium bewarb und gleich die Zusage von zwei Akademien bekam. Ihre Wahl fiel auf Karlsruhe, wo sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste von 1996 bis 2001 freie Malerei studierte. Als Meisterschülerin von  Gustav Kluge verließ sie etwas wehmütig die Karlsruhe und zog nach Berlin, um weitere drei Jahre ein Ergänzungsstudium am Institut für Kunst im Kontext an der Universität der Künste draufzusatteln. Der Zufall bzw. der Job ihres Mannes wollte es, dass Ute Robitschko ein paar wenige Jahre in Ravensburg wohnte, bevor ein erneuter Ortswechsel folgte, der sie nach Ludwigsburg führte, wo sie heute noch lebt und arbeitet.

In jenem Ravensburger „Intermezzo“ schaffte sie es schnell, Aufmerksamkeit in der lokalen Kunstszene zu erlangen, es folgten Ausstellungen und Ankäufe in verschiedene öffentliche und private Sammlungen. Denn die realistische Malerei von Ute Robitschko war überraschend anders und extrem eigenständig. Sie passte weder in die Schublade der „neuen Figuration“ der Nullerjahre noch in die Abstraktion des alten Jahrtausends, sondern Ute Robitschko beschritt komplett neue Pfade. Bis heute geht sie unbeirrt ihren künstlerischen Weg und lässt sich von keiner Mode oder Welle beeinflussen oder gar manipulieren. Diese Werktreue ist sicherlich eines ihrer Markenzeichen, natürlich gepaart mit einem großen malerischen und zeichnerischen Können.

In unserer Ravensburger Galerie zeigten wir noch über den Jahreswechsel 2019/20 eine Auswahl von Robitschkos Werken in einer Ausstellung, die den Titel  „Weltenraum“ trug.

Für ihre Werkreihen  recherchiert die Malerin Ute Robitschko oft lange Zeit nach außergewöhnlichen Bauten, welche sie in die für ihr Werk charakteristischen hyperrealistischen Landschaften setzt. Das Markenzeichen dieser Malerei ist es, fotorealistisch gemalte Gebäude als Bildmotive so zu inszenieren, dass diese irreal anders und nicht selten surreal wirken. Ihre Bilder scheinen Türen in andere Welten zu öffnen, die mal magisch verfremdet, mal atmosphärisch aufgeladen, aber immer faszinierend anders sind.

„Ich möchte dem/der Betrachter/in die Möglichkeit geben, sich ohne Vorgabe einer bestimmten Geschichte in fiktive Orte hineinzubegeben. In diesen zum Teil collageartig zusammengesetzten Landschaften befinden sich Gebäude – meist Wohnhäuser, größere Wohnanlagen, öffentliche Gebäude oder Ähnliches“, schrieb Ute Robitschko vor einiger Zeit über ihre Kunst. Diese Worte lesen sich heute ganz anders als noch vor Zeiten der Corona-Pandemie, denn plötzlich leben wir in einer Welt, in der Realität fiktiv wirkt und in der wir uns nur virtuell oder gedanklich an Orten aufhalten dürfen, die wir körperlich derzeit nicht betreten dürfen.

Es mag sich für die Künstler*innen dieser Welt seltsam anfühlen, wenn so manche Fiktion Wirklichkeit wird, wenn utopische Romane plötzlich Realitätsbezug bekommen oder wenn sich – wie bei Ute Robitschko - Architektur und Natur bildnerisch zu einer Einheit verschmelzen, in der uns Menschen keine (Haupt)-Rolle zugedacht ist.

Menschenleere Orte sind auch Orte der Stille. Wer die Bilder von Papst Franziskus am Karfreitag 2020 im leeren Petersdom gesehen hat, konnte die Magie dieser Stille selbst durchs Fernsehen spüren. Stille fällt auf, denn Stille ist selten geworden. Überall sind wir von Geräuschen umgeben und wir produzieren selbst ständig Stimmen oder Geräusche. So erlaubt es uns der technische Fortschritt inzwischen, nahezu überall zu telefonieren und von allen Orten dieser Welt in Sekundenschnelle Bilder in die ganze Welt zu posten.

Aber diese große vermeintliche Freiheit hat zwei Gesichter.

Dieses zweite Gesicht ist inhaltsleer, anonymisiert und gleichgeschaltet. Viele von uns haben vergessen oder es verlernt, innere Bilder zu speichern und auf das eigene geistige Auge zu vertrauen. Mit Erschrecken beobachte nicht nur ich, wie sich inmitten der täglichen Bilderflut ein gesellschaftliches Erblinden einstellt. In unserer Galerie erleben wir immer wieder, wie schwer einzelnen Menschen das bewusste Sehen fällt, und wie schwer sich Besucher*innen tun, ihren eigenen Augen und Sinnen zu vertrauen. Nicht so Ute Robitschko, denn diese Malerin ist eine leidenschaftliche Bildersucherin, die über einen beneidenswerten Bilderspeicher verfügt.

Wenn wir die Bilder von Ute Robitschko anschauen, so bieten diese uns Projektionsflächen für eigene Geschichten, Entdeckungen oder gar Träume. Wir können uns an ihren Bildorten verlieren, verstecken, verirren, wie wir dies als Kinder taten, wenn wir neugierig und manchmal voller Spannung in die Welt der Bilderbücher eintauchten. Wer erinnert sich nicht an ein leichtes Gruseln unter der Bettdecke?

Apropos Kindheit und Kunst.

Von Picasso ist u.a. folgendes Zitat überliefert: „Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist nur, wie man ein Künstler bleibt, wenn man größer wird."

Auch Ute Robitschko ist kein Kind geblieben, aber sie konnte sich – wie viele ihrer Kolleg*innen – die kindliche Neugierde und Unverkrampftheit bewahren, die uns Nichtkünstler*innen meist abhandengekommen ist.

Kitzeln Sie also das Kind ich sich wach, schauen Sie genau, entdecken und erleben Sie Orte neu und anders … in einem Ludwigsburger Atelier entstehen die passenden Bildtableaus dazu!

© Andrea Dreher, April 2020