Dass der Künstler bzw. Design Maker, der heute vorgestellt wird, den Namen der Stadt trägt, in der er lebt, ist kein Zufall.

Andreas Berlin (*1965) studierte Design und Innenarchitektur an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Zahlreiche seiner Möbelentwürfe wurden in den Folgejahren auf internationalen Design-Messen präsentiert und ausgezeichnet. Der inzwischen erfolgreiche Designer suchte jedoch nicht das Establishment, vielmehr fesselte ihn die Idee der Etablierung einer Eigenmarke. So firmiert er seit 2010 unter dem eingetragenen Künstlernamen Andreas Berlin. Seit 2016 verwirklicht sich Andreas Berlin seinen „Künstler“-Traum von einer kleinen exklusiven Kollektion, bestehend aus Unikaten und Kleinserien außergewöhnlicher „Designobjekte“, die exakt an der Schnittstelle zwischen Design und Kunst ansetzen.

Eine Vase nicht als fertiges Produkt, sondern als ein Teil eines Ganzen zu betrachten, war der Beginn eines außergewöhnlichen Projektes. So mussten für den ersten kleinen Tisch zunächst 150 alte Vasen gefunden werden, um schließlich die perfekte Kombination (Durchmesser und Design) für eine Säule, bestehend aus drei Vasen, zu erhalten. Die ersten Stücke der Kollektion entstanden schließlich aus einem Fundus von über 800 alten Vasen, erworben in Antiquitätenläden in Berlin und Brandenburg.

Der erfahrene Designer Andreas Berlin begab sich also für seine freien Arbeiten auf ein Experimentierfeld, das von ihm großen Einsatz, eine gewisse Risikobereitschaft und absolute Leidenschaft abverlangte.

Da es sich bei allen Objekten um Unikate handelt und da jede Vase andere Eigenschaften besitzt, die teils auf deren „ungenaue“ Geometrie des Herstellungsprozesses zurückzuführen sind, vergleicht Andreas Berlin seine Vorgehensweise mit der Collage-Technik.

Denn in „Collagen gibt es beständige und flexible Komponenten, Dinge die Sicherheit und Geborgenheit geben, für ästhetische Ruhe sorgen und Gegenstände, die unseren Geist beleben. DESIGN ist die Suche nach einer neuen Sichtweise auf ein Produkt und die Entwicklung eines Gefühls und einer Logik für die formale und technische Umsetzung. Entscheidend ist, inwieweit die Idee eine bleibende Faszination ausüben kann“, so der freie Objektkünstler über seine Arbeiten.

 

Die Objekte von Andreas Berlin haben längst internationale Fans. So widmete die spanische „ELLE DECO“ dem Künstler im Sommer 2019 einen zweiseitigen Artikel mit der Überschrift „“Adiós a la nostalgia“. Wer niederländisch spricht, kann Andreas Berlin in der aktuellen VOGUE living-Ausgabe (May-June 2020) entdecken …. Umso schöner also, dass es auch in der kleinen Provinzstadt Ravensburg in unserer Galerie 21.06 eine „Berlin-Vertretung“ gibt. Immerhin hat es unsere Stadt am 13.6.2020 in die Sommerserie „Ortsmarke“ der FAZ geschafft, und Jakob Strobel Y Serras Bericht ist wirklich lesenswert und macht Lust auf Ravensburg. Da sich unsere Galerie im ältesten erhaltenen Haus aus dem Jahr 1179 befindet, ist der Besuch aus vielerlei Hinsicht natürlich ein "must have"!

Auf meine Frage bzw. Bitte an Andreas Berlin, mir ein paar Eindrücke aus seinem Corona-Alltag zu schicken, antwortete er mir am 6.6. 2020 in einer Mail wie folgt:

„Ich habe gekämpft wie ein Löwe um auch für mein berufliches Dasein in dieser Zeit etwas auf die Beine zu stellen. Die Phase Ende März, in der du geschrieben hattest, war eine Zeit in der es inzwischen sehr klar geworden war, dass die Lage sehr ernst ist und sicher auch nicht auf die Schnelle zu bewältigen sein wird. Der Satz unserer Kanzlerin „die Lage ist ernst, nehmen sie es auch ernst“ hatte es ein paar Tage zuvor auf den Punkt gebracht.

Ich konnte mich recht gut darauf einlassen, die neuen zusätzlichen Aufgaben anzunehmen. Jedoch wuchs das Bedürfnis, die (andere) Arbeit nicht einfach ruhen zu lassen trotz ausreichender Auslastung sehr. Zu diesem vielleicht auch etwas trotzigem „jetzt erst recht Gefühl“ entstand auch das Bedürfnis nicht einfach an den vorhandenen Ideen und Projekten weiterzuarbeiten. Das tat ich zwar zunächst ein paar Tage lang, aber es fühlte sich sehr komisch und unbefriedigend an.

So wusste ich schnell: Ich muss aus der Besonderheit der Situation etwas Neues schöpfen. Ich kann nicht mehr sagen wie ich auf das Thema Licht kam, aber Licht ist ja in vielerlei Hinsicht sehr eng mit dem Thema Hoffnung verknüpft und so war das Bedürfnis nach Hoffnung vielleicht der unbewusste Auslöser. Wie auch immer:

Mein „Corona-Projekt“ sollte sich also mit dem Thema Licht beschäftigen. Ich kam schließlich zu der Zielsetzung eine Leuchte (*Lampe) zu entwickeln, die wie eine Skulptur auf dem Boden oder einer erhöhten Fläche (Sideboard, kleiner Tisch…) steht. Diese Leuchte oder Leuchten-Serie sollte formal zwar sehr klar sein, aber trotzdem so stark in ihrer Aussage, dass man von einem skulpturalen Charakter sprechen kann. Die Leuchte soll also für sich betrachtet einen hohen Wert, den Wert einer Skulptur, darstellen. Darüber hinaus soll die Leuchte ein Stimmungslicht erzeugen, welches der Rauminszenierung bzw. dem Wohlgefühl dient. Es geht also um das Thema Rauminszenierung, Wert für die Seele und nicht um das Thema funktionales Licht.

Wichtig war mir ein Projekt zu entwickeln das nicht eine Übersetzung der schon vorhandenen Ideen darstellt. Also nicht eine Leuchte aus / mit Vasen oder Glasschalen, sondern ein neues ganz eigenständiges Projekt, so hat es die Situation und Befindlichkeit verlangt.

Inspiriert hat mich dann aber trotzdem der Effekt der Lichtleitfähigkeit von Plexiglas, wie wir es von den „small tables“ kennen.

Bei Gegenlicht wird Licht an der Kante von Plexiglas  „so als ob die Kante leuchtet“ sichtbar. Dieses Phänomen wird es auch bei einigen der neuen Leuchten geben. Diese werden also nicht nur „angeknipst“ leuchten, sondern auch (manchmal) im ausgeschalteten Zustand.

Ich habe viele kleine Freiräume, die sich spontan auftaten und viele, viele Abend- und Nachtstunden daran getüftelt, gezeichnet und gebaut und stehe jetzt kurz vor der ersten fertigen Leuchte.“

Dieser Originalton von Andreas Berlin beschreibt wunderbar, was wir in den letzten Wochen von vielen Künstler*innen erfahren haben. Der Corona-Lockdown tat weh und tut es immer noch, aber er bot auch die Chance, sich zu sortieren und Neues zu wagen. Etwa eine Woche nach dieser Mail schickte Andreas mir Aufnahmen seiner Lichtskulptur, die natürlich in dieser Geschichte abgebildet werden. Andreas schreibt in seiner Mail auch von der Faszination des Gegenlicht-Effekts ….. „Im Gegenlicht“ lautet übrigens der Titel einer Italienischen Reise von Joachim Fest, die den Autor von Sizilien in den Norden führt.

Da überkommt mich spontan der Wunsch, dieses Buch von Joachim Fest aus dem Regal zu holen und es mit einem guten Glas Rotwein, das neben mir auf dem „Into my arms“ betitelten „small table“ steht, voller Sehnsucht und Nostalgie zu lesen. Es lebe der analoge Genuss in diesen digitalen Zeiten!

© Andrea Dreher, Juni 2020