Es geht ihm immer um den Menschen und um den Kontakt mit Menschen, in der Kunst sowie im Leben. So greift Klaus Prior manchmal im schweizerischen Lugano zum Hörer und fragt „Wie geht’s, come va?“.

Prior kam auf die Welt, als Deutschland den Krieg verlor, im Jahr 1945. Aufgewachsen ist er in Wesel in Nordrhein-Westfalen, einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg große Zerstörungen erlitt. Seine Kindheit beschreibt er rückblickend als „schreckliche Nachkriegsjahre“ und so wundert es nicht, dass es als kaum Volljähriger für immer seine Heimat verließ und ins Schweizer Exil floh. Erst über Umwege kam er daher zur Kunst, die jedoch seine lebenslange Leidenschaft bleiben und sein Beruf werden sollte. Denn schon in der Schule lautete sein Spitzname „Pinsel“.

Zunächst  absolvierte Prior eine Ausbildung zum Techniker, spezialisierte sich im Bereich Maschinenbau und belegte parallel Abendkurse für Malerei und Zeichnen an der Kunstgewerbeschule in Sankt Gallen.

Zu Beginn der 1970er Jahre siedelte Klaus Prior ins Tessin über und begann dort seine künstlerische Laufbahn zunächst als Maler expressiver Landschaftsmotive. Seine Bilder wurden gekauft und gesammelt, aber eine innere Unruhe und Zerrissenheit führte den Maler in den 1980er Jahren in eine tiefe existenzielle Krise.

Wer den Künstler kennt, begreift schnell, dass er ein Kämpfer in der Sache ist und entsprechend kompromisslos seinen Weg sucht und findet.  „Kritisiere dein Ich, aber verzweifle nicht daran“, ist einer der Sätze Priors. So entdeckte er erst Anfang der 1990er Jahre den Bildhauer in sich. Schnell entstanden in der Folge erste Holzskulpturen, und die Kettensäge wurde Priors dritte, starke Hand. Er rückt dem Holzblock übrigens ohne Skizze oder Modell sehr intuitiv zu Leibe, direkt und obsessiv. Seine Körper sind daher vom unmittelbaren Dialog des Künstlers mit dem harten Naturmaterial gezeichnet.

Heute entstehen im Atelier des Künstlers parallel Malerei und Skulptur. In beiden Gattungen sind es existenzielle Themen, die Priors künstlerischem Werk zugrunde liegen. Es ist immer der Mensch, der ihn umtreibt, mal als Bestie, mal als Liebhaber, mal brutal und mal sanft, oft erbarmungslos und radikal, aber stets einzigartig.

Vor unserer Galerie steht ein Großformat von Klaus Prior, die Holzskulptur Ibykus II, die im Rahmen eines Atelierstipendiums des Kunstvereins Keck e.V. im Jahr 2010 in Ravensburg entstanden ist und damals recht spontan auf einen städtischen Sockel gestellt wurde. Da steht er nun seit zehn Jahren, der Eichenriese, der nach einem Schiller-Gedicht benannt wurde, und zeigt, was Skulptur im öffentlichen Raum bewirken kann. Kaum ein Tourist, der nicht seinen Hals nach oben reckt …

Der Tessiner Bildhauer kann sehr groß und er liebt es nach wie vor, seine Arbeiten draußen zu verorten, wo alle Zugang zur Kunst haben und wo es keine Hemmschwelle zur Kunst gibt. Aber Prior ist auch stark im kleinen Format, sowohl in der Skulptur als auch in der Zeichnung. In seinen Aquarellen lässt er seinen Körperformen freien Lauf und bringt mit großer Souveränität wunderbare Momente aufs Papier.

„Ganz gleich, ob im Ausstellungsraum, im Atelier oder im öffentlichen Raum – wo immer der Betrachter aus Klaus Priors malerische und bildhauerische Kräfte trifft, da sieht es sich einem Strudel unmittelbar auf ihn einwirkender Kräfte und Emotionen ausgesetzt“, schreibt der Kunsthistoriker Christoph Bauer.

Es geht dem Künstler nicht um die Illustration oder Dekoration des Raums, sondern um die Kraft des Elementaren. Prior selbst beschreibt seine Figuren als dramatisch, weil sie eben nicht die perfekte Form (oder Schönheit) suchten, sondern weil sie immer mit der Faszination des Unvollendeten spielen.   

In Italien wird seine Kunst auch mit „LA FORZA ESPRESSIVA“ betitelt. Diese expressive Kraft macht aus dem Künstler einen Brückenbauer zwischen zwei Welten, wo sich deutsche Disziplin und italienische Sinnlichkeit vereinen.

Inzwischen blickt Klaus Prior auf eine lange Schaffens- und Ausstellungstätigkeit zurück, aber nach wie vor gibt er für jede Ausstellung alles und scheut keine Mühen. So ehrlich das Werk, so ehrlich der Künstler! Das wissen nicht nur wir zu schätzen, sondern auch all seine Sammler und Freunde in Nah und Fern.

© Andrea Dreher, September 2020