Die erste Begegnung mit dem Fotografen Phil Dera fand im Café Einstein im April 2017 in Berlin statt.

Stefanie Büchele und ich befanden uns damals in der Gründungsphase unserer Galerie und waren auf „Atelier-Tour“ in der deutschen Hauptstadt. Phil Dera wurde uns von einem profunden Kenner, dem ehemaligen Verleger und renommierten Kulturwissenschaftler Dr. Hans von Trotha als „Geheimtipp“ empfohlen, und wir hatten Glück, dass er sich gerade in Berlin aufhielt und Zeit für ein erstes „get together“ mit uns hatte.

Denn Phil Dera ist viel unterwegs.

Nach seinem Studium der Politik, Volkswirtschaftslehre, Südostasien-Wissenschaften und Indonesisch an der Humboldt Universität unternahm er ausgiebige Reisen und arbeitete u.a. für politische Stiftungen in Palästina und Israel, an der Deutschen Botschaft in Kathmandu sowie für eine Unternehmensberatung in Kuala Lumpur.

Erst 2013 traf Phil Dera die Entscheidung, als freier Fotograf zu leben, um der Neugierde, den Zwischenräumen, der Magie und dem Kern der Dinge nachgehen zu können. Inzwischen arbeitet er u.a. für das ZEITmagazin, DIE ZEIT und das Handelsblatt. Außerdem erhielt er Aufträge für die Staatsoper Unter den Linden und das Maxim-Gorki-Theater und hat Politik-Größen wie Hillary Clinton, Bernie Sanders, Helmut Schmidt und Prominente wie Lang Lang u.v.a. fotografiert.

Im Bereich zeitgenössische Kunst und Kultur ist er als offizieller Fotograf des Radialsystems engagiert, einer freien Kulturinstitution in Kreuzberg, die als Anziehungspunkt für internationale Künstler*innen von Weltrang gilt.

So entstand im Sommer 2016 die Werkserie „Silent Confrontation“ mit dem internationalen Tanz-Ensemble „Laborgras“, welche erstmals außerhalb Berlins in unserer Ravensburger Galerie ausgestellt war.

Im Sommer 2018 begleitete Phil Dera die neue Aufführung „Movement Episodes“ von Laborgras. Wieder erfolgte die temporäre Erstpräsentation der Fotografien in Berlin und die zweite Station war erneut unsere Galerie in Ravensburg.

Um den Alltagsstress gut zu kompensieren, nahm sich Phil regelmäßig seine persönlichen Auszeiten und verschwand in die Ferne. So auch zu Beginn diesen Jahres.

In seiner Mail vom 22. Juli antwortete er mir auf meine Mail vom April 2020 folgendes:

„Liebe Andrea,

da deine Email völlig auf der Höhe der Zeit, nämlich zum Höhepunkt der Corona-Krise gekommen ist, als ich noch in Marokko gestrandet war, habe ich tatsächlich erst jetzt die Zeit gefunden darauf zu antworten.

Mittlerweile hat sich der Nebel ja etwas gelichtet, auch wenn die Fahrt wohl noch eine ganze Weile nur auf Sicht sein wird. Bei mir ist fast die gesamt Event-Sparte weggebrochen bzw. hat sich ins digitale verlagert. Was ein finanzieller Einschnitt, aber auch eine Chance darstellt. Die neu gewonnene Zeit und Energie kann ich nämlich für Kunstprojekte nutzen. Und somit wären wir auch beim Thema

Für eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie „Anything Goes? Berliner Architektur der 1980er Jahre“ werde ich mehrere Räume bespielen. […]

Das Projekt ist noch mitten im Entstehen und ich verbringe viel Zeit in den unterschiedlichen Wohnzimmern der Bewohner und Bewohnerinnen bei Kaffee und Kuchen, lausche den Lebensgeschichten rings um die geschichtsträchtigen Gebäude und fotografiere die Menschen in ihren Lieblingsorten der Wohnungen, ob dies die Küche, der Balkon oder das Wohnzimmer ist.“

Das Verhältnis zwischen uns und Phil Dera ist von Anfang an ein sehr herzliches. So ließ es sich der Künstler auch nicht nehmen, jeweils zur Vernissage persönlich nach Ravensburg zu kommen und seinen Terminkalender sozusagen um uns herum zubauen. Als wir im Herbst 2017 seine Fotoserie „Silent Confrontation“ bei uns zeigten, stieß diese auf wunderbare Resonanz.

Als wir am 21. Juni 2017 unsere Galerie eröffneten, taten wir dies auch mit Anspruch, den Spirit der Großstadt in die Kleinstadt zu bringen. Die Zusammenarbeit mit Phil Dera ist ein Paradebeispiel dafür, dass sich Großstadtthemen auch wunderbar in der Provinz behaupten und dass zeitgenössische Fotografie auch im Herzstück der Ravensburger Altstadt ihre Kraft entfaltet. Phil Dera liebt im Übrigen den STUDIO-Raum der Galerie, unseren kleinen „white cube“. Hier findet er den passenden Rahmen und die nötige Ruhe für seine Fotoserien, in welchen der Fokus ganz klar auf der Körpersprache liegt.

Die Konzentration des Fotografen auf die körperliche Präsenz ist atemberaubend. Phil Deras Blick für den richtigen Augenblick, wenn er seinen Auslöser drückt, ist seiner hohen Professionalität geschuldet. Die Ausstrahlung der Dargestellten wirkt daher weit über deren spontane Pose hinaus und überträgt sich atmosphärisch auf den gesamten Raum und auf uns Betrachter*innen.

Natürlich hat sich durch die Corona-Pandemie auch für Phil Dera vieles verändert. Nach dem ersten Lockdown begann sich das künstlerische Leben in der Hauptstadt im Laufe des Sommers langsam wieder zu erholen.

So schrieb Phil in seiner Mail vom 11. September folgendes:

„Meine Arbeit mit den Tänzern fängt jetzt langsam wieder an, nachdem alle Tanzstudios renoviert sind und man wieder öffentlich auftreten kann. Und auch die Arbeit im Radialsystem geht wieder weiter. Ich hatte vor ein paar Wochen an einer Rauminstallation mitgewirkt, wo ein Foto von mir auf 6x7 Metern gedruckt und in die Fenster eines Raumes montiert wurde. Pretty crazy.“

Nach einer kurzen Verschnaufpause scheint uns das Virus nun alle wieder massiv einzuschränken. Wir müssen persönliche Kontakte und private Begegnungen vermeiden. Es wird längst gemunkelt, dass wir kurz vor einem zweiten Lockdown stehen, zumal in Großstädten wie Berlin.

In diesen schwierigen Zeiten bekommen Phil Deras zwei Fotoserien „Silent Confrontation“ und „Movement Episodes“ eine ganz neue Bedeutung. Wir bewundern an diesen Arbeiten jetzt nicht mehr nur die Kraft der Körpersprache und die Faszination der Fotografie, sondern wir erleben die Körperlichkeit vollkommen neu und viel intensiver. Mit jedem Tag der Pandemie begreifen wir einmal mehr, was uns fehlt und was wir lange für selbstverständlich hielten.

Auch die beste Fotografie kann die Wirklichkeit zwar leider nicht ersetzen. Dennoch sind Phils Aufnahmen mehr als nur Platzhalter einer „vergangenen Zeit“, sondern ihre Dynamik ist atemberaubend und ihre Symbolkraft außergewöhnlich stark.

Beide Fotoserien aus dem Atelier von Phil Dera sind „Balsam für unsere Sinne“ und sie können uns hinwegtrösten über eine Zeit, welche wir alle gemeinsam hoffentlich bald als kollektive Vergangenheit abhaken können. Wer mit Fotografien von Phil Dera lebt, kann dem Alltag regelmäßig entfliehen, schon ein intensiver Blickmoment genügt, so das einstimmige Lob all unserer Phil Dera-Kund*innen.

Ravensburg, Ende Oktober 2020