Die zweite Kunst- und Künstlergeschichte soll der Berliner Künstlerin Katharina Arndt gewidmet sein.

Eigentlich würden wir die Künstlerin noch in Barcelona antreffen, wo sie seit einigen Jahren wertvolle Lebens- und Arbeitsmonate verbringt, um den kalten und grauen deutschen Wintermonaten zu entfliehen. Aber das Virus hat sie nun frühzeitig zurückgebracht ins altvertraute Berlin, wo sie – mehr oder weniger ans Haus gefesselt – an ihren Themen weiter arbeitet und ihren Alltag regelmäßig auch in den sozialen Medien postet. Ja, Katharina Arndt lebt und liebt das Hier und Jetzt, sie ist ein Kind des Konsums, sie liebt Filme, sie liebt Bars, sie liebt Fashion, sie liebt Partys, sie liebt lackierte Fingernägel, sie entspannt sich gerne in der Badewanne und all das zeigt sie auch in ihren Kunstwerken.

Persönlich kennengelernt haben wir uns übrigens bei der Vernissage der Ausstellung „Fleischeslust“ im Jahr 2015 im Museum Villa Rot. Ich arbeitete damals für das kleine feine Museum in Burgrieden-Rot und brauchte noch auf die Schnelle Fotos der beteiligten Künstler*innen. So entstand auch ein spontanes Handy-Portrait von Katharina Arndt, das der nach Berlin zurückgekehrten Künstlerin so gut gefiel, dass sie mich darum bat, es für eigene Zwecke verwenden zu dürfen. Als Honorar hatten wir uns auf ein Bier geeinigt, bei einem wann auch immer zu erwartenden Wiedersehen. Dass dieses Wiedersehen dann in der Galerie 21.06 Ravensburg stattfinden sollte, hatten wir damals beide nicht geahnt. Das gemeinsame Bier haben wir auf alle Fälle inzwischen getrunken.

Katharina Arndt (*1981) studierte 2000-2005 an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig und war 2006 Meisterschülerin bei John Armleder. Ihre Arbeiten wurden u.a. in der Saatchi Gallery London, im Museum Villa Rot und im Kunstverein Hannover gezeigt.

Die Künstlerin reflektiert in ihrer Kunst das Leben und die Rolle der Frau in unserer westeuropäischen Gesellschaft. Inhaltliche Schwerpunkte ihrer Werke sind die kritisch-ironische Auseinandersetzung mit Themen wie Geschlechterrollen, mit materiellen Statussymbolen und mit individueller Selbstverwirklichung. Ihre Bildsprache ist dabei radikal, unverblümt und irgendwie berauschend. In ihren Zeichnungen und Objekten entwickelt Arndt selbstbewusst und absolut authentisch die Pop-Art des 20. Jahrhunderts weiter.

Doch nochmals kurz zurück zur Ausstellung „Fleischeslust“, bei der kein einziges Bild mit einer Frau, sondern prachtvoll inszenierte Fleisch- und Wurstwaren ausgestellt waren. Die sog. „Weber-Grill-Bibel“ (ja, dieses Grill-Buch wird tatsächlich von Einzelnen als Bibel bezeichnet) und eine Grill-Einladung bei Freunden hatten Katharina derart fasziniert, dass sie sich unbedingt dem Thema Fleisch und Wurst künstlerisch nähern wollte. Sie sagte dazu damals: „…die Betrachtung des perfekt inszenierten Essensbildes ersetzt das eigentliche Kochen“. In Zeiten von inflationären Koch-Shows und zahllosen Kochbüchern, die sich durchaus mit bibliophilen Kunstkatalogen auf Designertischen stapeln, mag diese Einstellung durchaus berechtigt sein und erst recht der Impuls, diese Beobachtung aus dem wahren Leben künstlerisch umzusetzen.

Arndts Kunstwerke preisen wir in der Galerie übrigens immer gerne als „Lack auf Latex“ an, was tatsächlich stimmt, denn die Künstlerin hat die traditionelle Leinwand gegen hochwertige Latexfolie ersetzt, und darauf entstehen ihre Bildwelten als Lackstiftzeichnungen.

Diese spektakuläre Materialwahl in Verbindung mit einer durchaus individuellen Zeichentechnik ist im Übrigen ein echtes Alleinstellungsmerkmal der Künstlerin. Was auf den ersten Blick oft lässig und unverkrampft wirkt, erlaubt kaum Korrekturen, denn bei ihren Lackzeichnungen muss jede Linie sitzen, Fehler sind fatal. Das bedeutet, dass Arndts Arbeiten mit großer Disziplin entstehen und eine hohe Konzentration erfordern, die man der vordergründigen Leichtigkeit der Kunstwerke zunächst nicht ansieht.

Was ihre Motivwahl betrifft, so mag es Katharina Arndt nicht allzu brav, sondern sie arbeitet bewusst mit Irritationen und Brüchen. In ihren Stillleben legt sie daher gerne die Finger in die Wundern unseres ach so perfekten Alltags. Wir entdecken gesprungene Handy-Displays oder Kopfhörer, die versehentlich in Saftpfützen schwimmen und Tablettenblister, welche die Obstkorb-Idylle trügen usw.. Wenn Katharina Arndt einzelne „Macken und Fehler“ ins Bild holt, so erhebt sie damit keineswegs einen moralischen Anspruch, sondern sie setzt mit diesen symbolischen Störungen eindeutige „Triggerpunkte“ und bedient sich hierbei ikonographischer Muster des 21. Jahrhunderts. Denn seit jeher werden in Bildern mittels bestimmter Symbole Botschaften versteckt, so findet sich z.B. bei Geburtsszenen Christi gerne ein Goldfink (er frisst Disteln) im Bild, um auf die spätere Passion Christi hinzuweisen. Die klassische Kunstgeschichte ist geradezu ein Tummelplatz versteckter Bilder im Bild, und diese zu entschlüsseln oder mindestens zu sortieren, bezeichnen wir als Ikonographie.

Zur Ausstattung eines Künstlerateliers der vergangenen Jahrhunderte gehörte daher stets auch ein Nachschlagewerk der gängigen Zeichen und Symbole. Daran konnten sich die Künstler orientieren und entsprechende „Botschaften“ in ihre Bilder malen, die als Meta-Ebene im Bild wahrgenommen wurden.

Als wir Katharina Arndt im letzten Jahr einluden, bei der von unserer Galerie kuratierten Ausstellung „Kunstgenuss-Genusskunst“ im Hauptgebäude der Brauerei in Meckatz mit dabei zu sein, sagte sie spontan zu und begab sich schnell auf Motivsuche. Diese Suche erfolgte übrigens nicht (wie vielleicht zu erwarten) auf Google, sondern live, denn Katharina hatte eigens eine Woche Allgäu-Urlaub mit ihrem Mann gebucht, um die ländliche Idylle in Echtzeit zu erleben. Leider hatten die beiden totales Wetterpech und mussten Tage des Dauerregens aushalten. Herausgekommen sind immerhin Bilder mit blauem Himmel, u.a. das Porträt einer Kuh und das Bild einer Allgäuerin. Doch diese Kunstwerke wären nicht von Katharina Arndt, würde die vermeintliche Idylle nicht ein wenig gestört. So gefährdet z.B. ein Flugzeug am Himmel die absolute Kuh-Idylle und die Allgäuerin im Dirndl stützt sich auf eine Sense, auch sehen wir zwei Fliegen im Bild (eine bereits tot) – starke Symbole der Vergänglichkeit der Schönheit und des Lebens. In der Tat trägt dieses Bild den Titel „Der Tod und das Mädchen“.

Und immer wieder geht es im Werk von Katharina Arndt um die Frau: Schöne Frauen, Film-Diven, Zombie-Frauen, starke Frauen, verletzliche Frauen, erotische Frauen, selbstverliebte Frauen, emanzipierte Frauen und Frauen, die „ihren Mann stehen“. Katharina Arndt gehört zu den Künstlerinnen, die auch als „Stiletto-Feministinnen“ bezeichnet werden, Frauen also, die Emanzipation neu denken und die dabei ihre Weiblichkeit selbstbewusst leben.

Zu dieser Lebenseinstellung gehört auch der souveräne und unverkrampfte Umgang mit Tabus. Entsprechend finden wir in Katharina Arndts Œuvre Bildmotive, welche Intimsphären aufweichen oder sexuelle Fantasien preisgeben, denn wir leben längst in einer narzisstisch sexualisierten Gesellschaft. Wenn Arndt also beispielsweise Zeichnungen von Intimrasuren ausstellt, so öffnet sie die Türen in eine anonymisierte Privatsphäre und stellt dabei immer künstlerisch die Frage, was wir bereit sind, von uns preiszugeben und vor allem wem? Dem Internet, dem Partner, dem eigenen Spiegelbild  oder einer Dating-Plattform …?

Katharina Arndt lässt es sich im Übrigen nicht nehmen, einmal im Jahr die Reise nach Oberschwaben anzutreten. Denn sie sucht immer auch das persönliche Gespräch und den direkten Kontakt. Auch fordert sie regelmäßige Feedback-Gespräche ein, d.h. sie wünscht sich einen Dialog auf Augenhöhe mit ihren Galeristinnen, sie ist offen für konstruktive Kritik und für Impulse oder sogar für eine Auftragsarbeit. So entstand für ein Ravensburger Handwerks-Unternehmen eine exklusive Edition, die eine Frau zeigt, welche den Hammer schwingt und die weiß, was sie damit zu tun hat!

© Andrea Dreher, April 2020