„Ich hab die Corona-Zeit genutzt und eine neue Serie entwickelt: FLATLAYS - zu Deutsch Legebilder“, schrieb Eva Gieselberg in ihrer E-Mail Anfang Mai.

Die Fotokünstlerin Eva Gieselberg war übrigens die erste Initiativbewerberin unserer Galerie. Sie hatte am Abend unserer Galerie-Eröffnung am 21. Juni 2017 privat im Wirtshaus Mohren nebenan gesessen und war, wie viele andere Zaungäste auch, unweigerlich Zeugin eines berauschenden Mitsommer-Abends geworden. Dieser Galerie-Auftakt muss ihr so gefallen haben, dass sie kurz darauf bei uns in der Marktstraße stand und uns eine Auswahl ihrer #Candycars-Serie zeigte. Damals lebte Eva noch in Hamburg und pendelte regelmäßig mit einem ihrer automobilen Schmuckstücke aus dem persönlichen Fuhrpark nach Oberschwaben. Inzwischen hat sie ihren Lebensmittelpunkt nach Ravensburg verlegt und das Pendlerleben nach Mallorca ausgeweitet.

Seit Ende Januar 2020 und noch bis in den Herbst hinein sind Arbeiten von ihr im Tagungszentrum Hohenheim der Akademie der Diözese Rottenburg in einer Einzelausstellung zu sehen, die den Titel trägt: „#candycars: bittersüß?“ Wie bitter das Thema Auto unserer Gesellschaft und vor allem der Wirtschaft binnen weniger Wochen aufstoßen würde, konnte Anfang des Jahres noch niemand ahnen, am allerwenigsten die Ausstellungsmacherin Dr. Ilonka Czerny.

Da Eva Gieselberg ihre Fotokunst aber überhaupt nicht politisch oder systemkritisch verstanden haben möchte

, sondern da sie „Kunst fürs Herz“ schaffen will, sind ihre Fotos vielleicht gerade jetzt die richtige Medizin für die eine oder andere „vereinsamte“ Wand!

Im Herbst 2019 widmete der Journalist Knut Simon im Magazin für historische Volkswagen, VW CLASSIC Nr. 19, der Künstlerin Eva Gieselberg einen sechsseitigen Artikel und schreibt darin: „Und alles so schön bunt hier. In zum Teil riesigen Formaten drückt Eva Gieselberg der Welt ihre farbenfrohen Stempel auf - #CANDYCARS heißen ihre Portraits automobiler Selbst- und Hauptdarsteller, die jeweiligen Handlungen entstehen in den Köpfen der Betrachter.“

Wir lesen also von Portraits, wenn wir von Eva Gieselbergs Autofotografie lesen und sind im Grunde mittendrin in einer Jahrtausende alten Kulturgeschichte der Menschheit.

Eva Gieselbergs Fotografien datieren zwar weit in die Nach-Pop-Ära …, aber ihre Modelle gehören alle ins 20. Jahrhundert und atmen den Spirit des „american dream of life“. Haben wir nicht alle in unserem inneren Bilderspeicher Aufnahmen, Filme, Music-Videos abrufbar, in denen Kultautos eine prägende Rolle spielten? Auto und Mensch (meist Mann) sind im Helden-Mythos der Moderne kaum voneinander zu trennen. Können Sie sich z.B. einen James Bond ohne Auto vorstellen? Wohl kaum.

Die Anfänge von Eva Gieselbergs #CANDYCARS sind allerdings fern von Kunstgeschichte, Ikonographie oder Museumsbesuchen entstanden.

Denn die Geburtsstunde des ersten #CANDYCARS datiert erst in den Mai 2015 nach Hamburg. Angefangen hat nämlich alles mit dem SIKU-Modell eines Lamborghini Espada. Mittlerweile haben sich Hunderte weiterer Modellautos dazugesellt, die – nach Farben getrennt – im Ravensburger Atelier auf ihre individuellen Casting- und Foto-Shooting-Termine warten.

Wer sich gelegentlich mit Künstlerinnen und Künstlern unterhält, weiß, dass die Entstehung eines Kunstwerks oder gar die Heranreifung einer eigenen künstlerischen Handschrift meist eine sehr lange Vorgeschichte hat.

So auch bei Eva Gieselberg. Seit sie denken kann, liebt sie Autos, sie spielte lieber mit Autos als mit Barbies. Der gehütete Schatz ihres verstorbenen Vater ist bis heute eine Schuco-Modellauto-Sammlung. Mit 13 Jahren saß sie auf dem Beifahrersitz eines Käfer Cabrio und bezeichnet diese Spritztour mit ihrem Jugendfreund als Initialzündung für alles, was danach folgte. Eva Gieselberg begann Autos, vornehmlich Käfer zu fotografieren, sie sparte auf ihren ersten Käfer, einen 84er Mexiko-Käfer in rot. Sie „brannte für Käfer“, wurde gar „Käfer-Eva“ genannt. Mit 15 Jahren überredete sie ihren Vater, sie auf eine Auto-Show alter Käfer nach Belgien zu begleiten, die Leidenschaft ebbte nicht ab, war also weit mehr als eine „Phase im Leben einer Pubertierenden“.

Nach dem Abitur absolvierte Eva Gieselberg zunächst eine graphische Ausbildung und profitiert bis heute von den vielen Stunden und Experimenten im Fotolabor. Denn, so die Künstlerin im Gespräch: „Fotografie sollte man gelernt haben. Heute ist es so: du machst 100 Fotos und nimmst das beste“. Nein, Eva Gieselberg ist keine „try and error“-Frau, sondern sie wägt ab, sie arbeitet hoch konzentriert und mit höchstem Anspruch an Qualität. Auf ihre Lehre sattelte sie noch ein Studium der Kommunikationswissenschaften drauf und arbeitete u.a. als Motorjournalistin für diverse Auftraggeber.

Eva Gieselberg ist mit ihrer Oldtimer-Leidenschaft längst Teil einer großen Community und wurde im letzten Jahr sogar in den legendären „Schnauferl-Club“ aufgenommen (was Kennern der Szene bestimmt was sagt)!

Mit ihrem Fotoprojekt #CANDYCARS hat sie schnell echte Fans gewonnen und ist für viele längst Kult! Denn Eva Gieselbergs Bildkompositionen wecken Erinnerungen an unsere Kindheit. Mit Spielzeugautos verbinden wir Momente der kindlichen Begeisterung und Momente des lebendigen und Generationen übergreifenden Miteinanders. „Ich nehme das Alte und mache es trotz seiner Beulen schön“, sagt Gieselberg und bekennt sich auch zu ihrem Faible für den „Second Hand-Markt“. Denn wer - wie die Künstlerin - schöne Formen, klassisches Design und Farben liebt, findet in der Retro-Schatzkiste des 20. Jahrhunderts so manches Juwel, das aus dem „Dornröschenschlaf“ erweckt werden kann.

Die #CANDYCAR-Editionen leben übrigens vom Spiel in der Serie, wenn einzelne Autos an der Wand oder in einem Flur miteinander in Position gebracht werden, wenn drei starke Oldtimer als Triptychon glänzen oder wenn uns eine Pagode oder ein Ford Mustang „cool“ entgegenblicken, oder wenn – wie in den neuesten Arbeiten – Autos einfach flach liegen und das Schönheitsbad in der Menge genießen.

“Wenn du davon träumen kannst, dann kannst du es auch tun“, sagte Enzo Ferrari, der als Zehnjähriger in Bologna sein erstes Autorennen besuchte und sich sofort in den Rennsport verliebte.

Ob Sie sich eher zu den Machern oder zu den Träumern zählen, wissen Sie selbst am besten. Eva Gieselberg lehrt uns auf alle Fälle, dass man Träume durchaus leben kann, erst recht in Zeiten wie diesen.

© Andrea Dreher, Mai 2020